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Woher kommt der Begriff CO2-Fußabdruck?

Hier in diesem Blog spreche ich immer wieder vom “CO2-Fußabdruck”. Doch woher kommt dieser Begriff eigentlich? Und wieso ist er auch problematisch? In diesem Artikel erkläre ich kurz die Hintergründe.
Ein Wiederaufforstungs-Projekt in Australien
Foto von Matt Palmer

Die frühesten Ursprünge des Begriffs gehen auf die 1990er Jahre zurück: 1992 veröffentlichte der Kanadier William Rees einen wissenschaftlichen Artikel, in dem er erstmals vom sogenannten “ökologischen Fußabdruck” sprach. Zwei Jahre später verfeinerte der Schweizer Mathis Wackernagel in seiner Doktorarbeit die Methode zur Berechnung dieses ökologischen Fußabdruck und beschäftigte mit der Nutzung des Konzepts in politischen Entscheidungen. (Die PDF-Version ist hier abrufbar.) Der ökologische Fußabdruck bezieht darauf, wie viel unser Planet an CO2-Emissionen aufnehmen kann (z.B. durch Wälder oder Moore). Eine einfache Veranschaulichung ist die Berechnung, wie viele Erden es bräuchte, wenn wir unseren derzeitigen Lebensstil fortführen (im Moment: 1.75 Erden; Quelle).

Im Jahr 2004 gelangte der Begriff des “CO2-Fußabdrucks” ins öffentliche Bewusstsein: Er tauchte in einem Werbespot des Öl- und Gas-Konzerns BP auf, der von der Werbeagentur Ogilvy & Mather entwickelt wurde. Der im Fernsehen ausgestrahlte Spot (hier auf YouTube abrufbar) beginnt mit der Frage “What size is your carbon footprint?” und erklärt dann später “We can all do more to emit less”. Am Ende verweist die Werbung auf eine Webseite bei BP, wo man sich seinen persönlichen CO2-Fußabdruck berechnen lassen kann.

Der BP-Werbespot wurde vielfach kritisiert: Er verschiebt die Verantwortung auf jeden und jede Einzelne und suggeriert, dass es entscheidend ist, wie umweltfreundlich wir uns verhalten. Indem er das Publikum mit “ich”, “wir” und “du” anspricht, vermittelt der Werbespot die Botschaft, dass der Klimawandel vor allem ein persönliches Problem sei. BP erwähnt in dem Werbespot nicht, dass sein Kerngeschäft darin besteht, Öl und Gas zu fördern und es weltweit an Tausenden von Tankstellen zu verkaufen. Laut einem Bericht aus dem Jahr 2019 ist BP der Konzern mit den sechst-höchsten Treibhausgas-Emissionen weltweit seit dem Jahr 1965 (Quelle). BP hätte dabei selbst die Möglichkeit, klimafreundlicher zu handeln, aber erschloss zum Beispiel auch im Jahr 2018 noch neue Öl-Felder in der Nordsee, in denen in der Spitze mehr als 4 Millionen Liter Erdöl gefördert werden sollen (Quelle in einer BP-Pressemeldung).

Damit kann man die BP-Kampagne als Versuch eines Ablenkungsmanövers betrachten, indem wir uns alle damit beschäftigen, was wir persönlich tun können und nicht den Fokus auf die politischen Rahmenbedingungen für Konzerne legen. Wenn BP sagt, dass das Problem ist, wie jeder von uns Erdöl verbraucht, lenkt es davon ab, dass BP genau dieses Erdöl fördert und damit Gewinne erwirtschaftet. Wenn BP sagt, dass es um den Fußabdruck jedes einzelnen Menschen geht, dann lenkt es davon ab, dass unser Alltag so mit der Nutzung von Erdöl verzahnt ist, dass es schlichtweg keine Entscheidung darüber gibt, ob wir es nutzen wollen oder nicht. Diese Verzahnung ist die Grundlage für das Geschäft von BP. (Einfaches Beispiel: Deine Lebensmittel wurden wahrscheinlich mit einem Lastwagen zu dem Laden, in dem du einkaufst, transportiert. Dieser Lastwagen verbrennt in den meisten Fällen Diesel. Es ist für einzelne Verbraucher schlichtweg nicht möglich, bei einem Einkauf im Laden ein ähnliches Produkt zu kaufen, das nicht mit einem Lastwagen transportiert wurde, weil es dieses Produkt schlichtweg nicht gibt.)

Die Kampagne wird insbesondere dann zum Ablenkungsmanöver, wenn Firmen wie BP weiterhin Lobbyismus finanzieren, die eine stärkere Regulierung zum Ausstoß von Treibhausgas-Emissionen unterstützen. Es gibt zum Beispiel Berichte, dass BP und Shell bis ins Jahr 2020 Lobby-Verbände unterstützten, die eine strengere Regulierung fossiler Industrien verhindern wollen (Quelle).

Industrie und Abgase
Foto von Patrick Hendry

Es ist nicht hilfreich, wenn wir unseren CO2-Fußabdruck mit anderen Menschen vergleichen und dann andere kritisieren, wenn sie nicht perfekt leben. Man muss kein Öko-Heiliger sein, um sich für mehr Klimaschutz zu engagieren. Jene, die an Klima-Aktivistinnen unerreichbar hohe Standards anlegen und sie dann für deren Nicht-Erfüllung kritisieren, verfestigen letztendlich nur die derzeitige Situation und verhindern Wandel zu einer besseren Zukunft.

Für den globalen Klimawandel ist es nicht besonders wichtig, wie sich ein einzelner Mensch verhält - es geht um einen Wandel des wirtschaftlichen Systems, in dem wir leben und das Regeln und Anreize für Unternehmen setzt. Viel wichtiger als der Versuch, sich als einzelner Mensch klimafreundlich zu verhalten, ist es, wie wir zu politische Entscheidungen kommen, die uns auf einen Pfad zum 1.5°C-Ziel bringen: Wie schnell bauen wir erneuerbare Energien aus? Wann steigen wir aus der Kohle aus? Wie gehen wir mit Firmen um, die durch ihr Geschäftsmodell zur Klimaerwärmung und zur Zerstörung unseres Planeten beitragen? Ohne tiefgreifende systemische Veränderungen ist es im Prinzip egal, ob ein einzelner Mensch heute ein Rinder-Steak oder eine Linsensuppe isst.

Es ist wichtig, als Bürgerin und als Bürger zu handeln statt als Konsumentin oder Konsument. Es ist wichtig, für welche Parteien wir unsere Stimme abgeben, wofür wir demonstrieren und was wir öffentlich unterstützen. Politische Entscheidungen schaffen Handlungs-Optionen und machen anderes Verhalten unattraktiver: Die Qualität der Fahrrad-Infrastruktur beeinflusst, wie leicht oder schwierig es ist, ohne Auto zu leben. Damit wir Ökostrom-Tarife abschließen können, muss es einen Markt dafür geben, der durch Gesetze geregelt wird. Subventionen für die Landwirtschaft machen einen Unterschied, wie attraktiv die Rinder-Zucht im Verhältnis zum Gemüse-Anbau ist.

Ich verwende den Begriff des CO2-Fußabdrucks in diesem Blog trotz seiner mit der Öl-Industrie verbundenen Herkunft. Aus meiner Sicht ist der Begriff hilfreich, einzelne Handlungen zu vergleichen - auch wenn es nicht auf jede einzelne Handlung, sondern auf die Summe aller Handlungen ankommt. Auch andere Organisationen, die nicht im Verdacht stehen, der Öl- und Gas-Industrie nahe zu stehen, verwenden das Konzept des CO2-Fußabdrucks (wie zum Beispiel das Umweltbundesamt, das einen eigenen CO2-Bilanz-Rechner betreibt, oder Greenpeace). Die Geschichte über den Ursprung des CO2-Fußabdrucks ist jedoch wichtig, um sich vor Augen zu führen, wann jemand einen Anreiz hat, die vermeintliche Verantwortung möglichst breit zu verteilen und jeden einzelnen zu einem Sündenbock zu machen. Ohne gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel geht es nicht, egal wie man sich persönlich verhält.

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